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Interview mit Frau Ayse Demir zur Ausbildungssituation Jugendlicher mit Migrationshintergrund

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Ausbildung mit Migrationshintergrund – Foto: unsplash.com

Zum 1. September haben wieder zahlreiche Jugendliche eine Berufsausbildung begonnen. Viele Lehrstellen sind hingegen unbesetzt geblieben. Die Wirtschaft klagt verstärkt, nicht die passenden Bewerber zu erhalten. Dabei fällt es vor allem Jugendlichen mit Migrationshintergrund besonders schwer, eine passende Ausbildungsstelle zu finden. azubister hat sich mit der Stellvertretenden Bundesvorsitzenden, Ayse Demir, der Türkischen Gemeinde in Deutschland, über die Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, insbesondere türkischstämmiger, unterhalten.

Die Türkische Gemeinde in Deutschland e.V. (TGD) ist eine Interessensvertretung türkischstämmiger Deutscher und in Deutschland lebender Türken. Hauptziele des TGD´s sind Intergration und Partizipation von “Ausländern” in der Gesellschaft. Hierbei unterstützt der TGD auch Jugendliche mit Migrationshintergrund. Frau Ayse Demir ist Diplom Sozialpädagogin und stellvertretende Bundesvorsitzende der TGD.

azubister: Frau Demir schildern Sie uns bitte die Ausbildungssituation von türkischen Jugendlichen in Deutschland und wie die TGD diese beurteilt.

Ayse Demir: Obwohl türkeistämmige Jugendliche bei den Schulabschlüssen “aufgeholt” haben, ist diese positive Entwicklung bei der Ausbildungssituation nicht zu verzeichnen. Nach wie vor belegen Studien, dass Jugendliche mit Migrationshintergrund – insbesondere mit türkischem, kurdischem und arabischen Migrationshintergrund – am Ausbildungsmarkt diskriminiert werden. Denn auch bei gleichen Schulabschlüssen (teilweise sogar bei besseren Abschlüssen) und gleichem Engagement, werden Ausbildungsplätze bevorzugt an deutschstämmige Jugendliche vergeben. Diese Diskriminierungserfahrung verursacht bei vielen migrantischen Jugendlichen Resignation und Motivationslosigkeit. Und die Erkenntnis, dass sich diese Situation auch bei einer abgeschlossenen Berufsausbildung später in der Arbeitswelt widerspiegelt, verstärkt dies.

azubister: Was sind typische Vorurteile, mit denen Jugendliche mit Migrationshintergund zu kämpfen haben?

Ayse Demir - Stellvertretende Bundesvorsitzende des TGD© Ayse Demir

Frau Ayse Demir – Stellvertretende Bundesvorsitzende des TGD

Ayse Demir: Typische Vorurteile sind: Unpünktlichkeit, Unzuverlässigkeit bzw. Unmotivation. Betriebe, die Vorurteile haben, migrantische Jugendliche seien nicht pünktlich, nicht zuverlässig oder nicht motiviert bzw. die Befürchtung haben, die Einstellung eines Jugendlichen, der den Islam praktiziert bzw. ein Kopftuch trägt, würde das “Betriebsklima” negativ beeinflussen, sollten dazu motiviert werden, diesen Jugendlichen ein Praktikum anzubieten, um Vorurteile abzubauen.

azubister: Was könnte man zum Abbau von Vorurteilen machen, bzw. wie könnte man Diskriminierungen auf dem Ausbildungsmarkt entgegenwirken?

Ayse Demir: Die Ausbildungsbetriebe müssen für die Problematik der Diskriminierung migrantischer Jugendliche sensibilisiert werden und hierbei bei der Umsetzung von Antidiskriminierungskonzepten begleitet sowie unterstützt werden. Insbesondere öffentliche Institutionen müssen sich ihrer Verantwortung bewusst sein und eine Vorreiterrolle bei der Ausbildungsplatzvergabe übernehmen. Arbeitgeberverbände und Kammern sollten für die Vergabe von Ausbildungsplätzen an migrantische Jugendliche öffentlich werben. Wir befürworten zudem die Einführung eines anonymisierten Bewerbungsverfahren und die finanzielle Unterstützung von Ausbildungsbetrieben, die in der Integrationsarbeit eine Vorreiterrolle übernehmen.

azubister: Was macht die TGD um Vorurteile abzubauen bzw. wie unterstützen Sie Jugendliche?

Ayse Demir: In den Landesverbänden und den Berufsverbänden der TGD werden Jugendliche beraten und motiviert. Wir beobachten, dass diese Jugendlichen – insbesondere wenn sie mehrere Ablehnungen erhalten haben – keine Motivation haben und kurz davor sind “aufzugeben”. Das Problem ist, dass diesen Jugendlichen meist die positiven Vorbilder in der Familie fehlen, da die Eltern oftmals arbeitslos sind. Wenn sie auch noch längere Zeit schon aus der Schule sind, wird es noch schwieriger, sie zu motivieren. Aus diesem Grund benötigen diese Jugendlichen ausbildungsbegleitende Unterstützung (Coaching), damit man beispielsweise einem eventuellen Abbruch einer Ausbildung entgegenwirken kann. Der TGD bietet diese Unterstützung an.

azubister: Die TGD ist auch Träger des Freiwilligendienst und des Freiwilligen Sozialen Jahr´s. Was bietet die TGD hier an?

Ayse Demir: Der Freiwilligendienst und das Soziale Jahr bietet Jugendlichen durch den Einsatz in Einrichtungen und in Seminaren Berufsorientierung. Im Rahmen dieser Dienste erhalten jugendliche Erwachsene, mit oder ohne Migrationshintergrund die Möglichkeit, sich für Andere zu engagieren und interessante Berufe kennenzulernen. Die Dienste werden in Krankenhäusern, Kitas, Behinderteneinrichtungen usw. geleistet und durch das pädagogische Team der TGD begleitet. In den Seminaren geht es vor allem um Identität, Berufsorientierung, gemeinsame Projekte zu Migration und Abbau von Vorurteile.

azubister: Die TGD bietet daneben weitere Projekte im Bereich Integration und Persönlichkeitsbildung an. Das Projekt Bildung und Spaß soll zur Integration beitragen. Was passiert hier?

Ayse Demir: Bildung und Spaß (B. u. S.), ist ein bundesweites Mentoren/-innenprojekt an den Standorten Berlin, Stuttgart und Kiel. Grundschülern mit Migrationshintergrund werden durch Schulabsolventen und Studenten mit Migrationshintergrund in Fragen der Bildung sowie Freizeitgestaltung begleitet. Ziel dieses Projektes ist eine verstärkte sozialräumliche Vernetzung der Schüler, die positive Beeinflussung des schulischen und persönlichen Werdeganges sowie die Vorbereitung auf einen gelungenen Start ins spätere Berufsleben.

azubister: Herzlichen Dank für die Informationen und weiterhin viel Erfolg für Ihre wichtige Arbeit.

Was ist eure Meinung? Habt ihr schonmal Diskriminierung am Ausbildungsplatz erlebt?